[HOME] 12.06.2023 Hier entsteht gerade eine neue Seite.
Thematisch behandelt wird der Umstand, daß Musikstücke in 5/4 Takt (quintuple time) in der Unterhaltungsmusik (U-Musik) westlicher Prägung nur äußerst spärlich zu finden sind. Ob dies auch für andere Kulturkreise zutrifft, kann ich nicht beurteilen, vermute aber mal, daß es da auch nicht anders aussieht.
Fragt man Leute auf der Straße welche Musikstücke in 5/4 Takt sie kennen, fällt natürlich dem überwiegenden Teil der Befragten, sofern die Frage überhaupt verstanden wurde, das 1959 vom Dave Brubeck Quartet intonierte "TAKE FIVE" ein, einer der bekanntesten Jazz Standards. Bohrt man etwas weiter, fällt dem ein oder anderen vielleicht noch die Titelmelodie zum Film "MISSION IMPOSSIBLE" (1996 mit Tom Cruise) ein (dammmm dammmm dammdamm dammmm dammmm ...), das war's dann aber auch schon.
Warum ist das so, fragt man sich. Die beiden zuvor genannten Beispiele sind reine Instrumentalstücke, was die Frage aufwirft, ob sich derlei "odd time signatures" (5/4, 5/8, 7/8) überhaupt für Gesang eignen. "LIVING IN THE PAST", ein vom Ian Anderson (Jethro Tull) 1969 geschriebener Song - der übrigens sehr stark an "TAKE FIVE" angelehnt ist - könnte zwar als Beispiel dafür dienen, daß es schon irgendwie geht. Hört man sich dann aber so Sachen wie "SEVEN DAYS" von Sting an (1993), nährt dies wiederum den Verdacht, daß es wohl doch nicht so einfach ist. Freilich haben sich in den 70ern gelegentlich auch einige ProgRock Bands an 5/4 herangewagt, aber wer hört sich den Kram heute noch an ...!?
Alles in allem erscheint die Situation - was Folk, Rock & Pop in 5/4 Takt anbelangt - doch reichlich desolat. Zeit, daß sich diesbezüglich etwas ändert. Ob sich auch für Songs in 5/4 Takt so etwas wie "Standard Picking Patterns" zur Liedbegleitung finden lassen, bleibt abzuwarten ...

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14.06. 2023 Tatsächlich eignet sich das vom Saxophonisten Paul Desmonds 1959 komponierte "TAKE FIVE" am Besten als Einstieg in die ungewohnte und gewöhnungsbedürftige Welt des 5/4 Takts. Der Titel ist nach wie vor recht populär und fast jeder kennt ihn. Der Rhythmus ist simpel und einprägsam, die Melodie ist gefällig und geht ins Ohr, was bei Kompositionen aus der Jazz-Ecke eher die Ausnahme ist. Melodic Jazz. Gibt es eine solche Klassifizierung?
Geschrieben wurde "TAKE FIVE" in Es-Moll, was - wie könnte es anders sein bei den Jazzern - jede Menge krummer Akkorde nach sich zieht. Man kann sich die Sache aber auch erleichtern und das Ganze einen halben Ton tiefer setzen, und schon tauchen liebgewonnene alte Bekannte auf:

Ebm

Dm
Bbm7

Am7
Bmaj7

Bbmaj7
Abm7

Gm7
Db7

C7
Gbmaj7

Fmaj7
Fm7

Em7
Bb7

A7
Manch einer aus der Zunft der Gitarrenspieler glaubt, er müsse das, was ein Keyboarder (Dave Brubeck) mit seinen 10 Fingern auf seiner Klaviatur veranstaltet, so originalgetreu als möglich auf sein Saiteninstrument übertragen, obwohl ihm dazu lediglich 4 Finger und 6 Saiten zur Verfügung stehen. Was dabei herauskommt, ist nicht selten ein fingerbrecherischer Parforceritt, der alles andere als flüssig daherkommt. Es ist nun mal leider so, daß Kompositionenen, die für ein bestimmtes Instrument geschrieben wurden, sich nicht 1 zu 1 auf ein anderes Instrument übertragen lassen (Transkription). Hier empfiehlt es sich, den (spezifischen) Möglichkeiten und Eigenheiten des jeweiligen Instrument Rechnung zu tragen, und einer flüssigen Spielweise stets die oberste Priorität einzuräumen, auch wenn dies Kompromisse auf Kosten einer originalgetreuen Wiedergabe abverlangt ...

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16.06.2023 Das Zupfschema (pickung pattern) der Gitarren-Begleitung (guitar accompaniment) für "TAKE FIVE" ist relativ simpel, sofern man es dabei bewenden lässt, und sich nicht in virtuose Verzierungen versteigt. Melodie und Begleitung sollten weiterhin getrennt bleiben:

show legend
     Dm                       Am7
e-----------------------5a----------------|
b----------6b:----------6b----------5a----|
g----------7d:----------7d----------5a----|
D----------7c:----7c----------------5a----|
A----5a-----------------------------------|
E-----------------------------5a----------|
         ¼          ¼    ¼    ¼
     <--------- full barrés --------->
Zupfschema: x - abc: - x - abc - x - abc
Summe der Notenwerte pro Takt: 1/8 + 1/4 + 1/8 + 1/4 + 1/4 + 1/4 = 5/4
Der Staccato-Effect im jeweils ersten Akkord wird erzielt, indem man die drei Saiten mit den Fingern angezupft, und die Saitenschwingung unmittelbar danach mit dem Daumen, dem Zeige- und dem Mittelfinger wieder stoppt. Der Grundton (hier 5a auf der A-Saite) darf weiterschwingen. In der Regel wird der Druck der Greifhand auf die Saiten einfach nur unterbrochen, was auf Dauer allerdings ziemlich stressig ist.
Der relativ lockere A-Teil wird 12x oder 16 mal wiederholt (4x oder 8x als Intro und 8x als Melodiebegleitung) ...

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18.06.2023 Es folgt der etwas anspruchsvollere B-Teil. Die Schwierigkeit besteht nun darin, mit der Zupfhand die jeweils richtigen Saiten zu erwischen, da diese - bei gleichbleibendem Zupfschema - alternieren: EDgb → Agbe → EDgb → usw. Spieltechnisch bedingt ist das Staccato im B-Teil nur noch eingeschränkt möglich, es sei denn, man nimmt die anstrengendere Variante:

     Bbmaj7                   Gm7              Am7                     Dm
e-----------------------6a----------------|-----------------------5a----------------|
b----------6a:----------6a----------3a-- -|----------5a:----------5a----------6b----|
g----------7c:----------7c----------3a----|----------5a:----------5a----------7d----|
D----------7b-----------------------3a----|----------5a-----------------------7c----|
A-----------------8d----------------------|-----------------7c----------5a----------|
E----6a-----------------------3a----------|----5a-----------------------------------|

     <------------------------------ full barrés ------------------------------>

     Gm7                      C7               Fmaj7
e-----------------------3a----------------|-----------------------1a----------------|
b----------3a:----------3a----------1a----|----------1a:----------1a----------1a----|
g----------3a:----------3a----------3d----|----------2c:----------2c----------2c----|
D----------3a-----------------------2b----|----------2b-----------------------2b----|
A-----------------4c----------3c----------|-----------------3d----------------------|
E----3a-----------------------------------|----1a-----------------------1a----------|

     <------------------------------ full barrés ------------------------------>

     Bbmaj7                   Gm7              Am7                     Dm
e-----------------------1a----------------|-----------------------5a----------------|
b----------3d:----------3d----------3a----|----------5a:----------5a----------6b----|
g----------2b:----------2b----------3a----|----------5a:----------5a----------7d----|
D----------3c:----3c----------------3a----|----------5a-----------------------7c----|
A----1a-----------------------------------|-----------------7c----------------------|
E-----------------------------3a----------|----5a-----------------------5a----------|

     <------------------------------ full barrés ------------------------------>

     Gm7                      C7               Em7                   A7
e-----------------------3a----------------|---------------------0-------------------|
b----------3a:----------3a----------1a----|---------0:----------0-------------5a----|
g----------3a:----------3a----------3d----|---------0:----------0-------------6b----|
D----------3a-----------------------2b----|---------0-------------------------5a----|
A-----------------4c----------3c----------|--------------7c-------------------------|
E----3a-----------------------------------|----0---------------------5a-------------|

     <--------- full barrés --------->                               <full barré>

Wie oft die beiden Teile wiederholt werden und sich abwechseln, ist letztendlich Sache des Geschmacks und also des Arrangements.
Mehr ist für die Gitarrenbegleitung nicht vonnöten, und mehr wird vom Brubeck am Klavier (in der Originalbesetzung ist keine Gitarre vorhanden) auch nicht geleistet, das als Teil der "Rhythm Section", bestehend aus Schlagzeug, Bass und eben Klavier, etwas stiefmütterlich behandelt wird. Akzente werden primär von Paul Desmond am Saxophon gesetzt, sieht man von dem Getrommel im Mittelteil der Komposition einmal ab, den man auch anders hätte füllen könnnen.
Man könnte statt des Getrommels im Mittelteil auch eine kleine Klaviervariation einbauen. Tatsächlich wurde dies in späteren Live-Auftritten hier und da auch umgesetzt. Es wurden auch einige Versuche unternommen, Gesang einzusetzen, die aber allesamt nicht überzeugen konnten ...

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23.06.2023 Wem nichts Besseres einfällt als Paul Desmonds ansprechende Saxophon-Thema zu kopieren, um es später für seine Vocals zu verwenden, der braucht sich nicht zu wundern, wenn seine ergeizige Bemühung, einen Instrumentaltitel nachträglich mit Gesang zu beglücken, von großen Teilen der Zuhörerschaft als Gejaule empfunden und mit der entsprechenden Mißachtung bestraft wird.
Es ist selten ratsam, Melodien von Soloinstrumenten für den Gesang zu "kapern". (Für den umgekehrten Fall gilt oft dasselbe. Dennoch soll es nicht wenige Leute geben, die sämtliche Platten Ricky Kings bei sich zu Hause im Schrank stehen haben.)
Jedenfalls konnten weder Carmen McRae, die sich 1961 als erste an diese Aufgabe herangewagt hat, noch all die anderen Pullertruden in der endlosen Reihe unbedarfter Gesangsinterpretinnen diesbezüglich punkten (Was von Al Jarreaus Gestammel oder Helge Schneiders Kaspertheater zu halten ist, muß jeder für sich selbst entscheiden.)
Die einzig vernünftige Herangehensweise an diese anspruchsvolle Aufgabe besteht (imho) darin, einen vorliegenden Text zunächst als Sprechgesang über die Liedbegleitung zu legen, und abzuwarten, wie sich die Sache entwickelt. Im Laufe der Zeit ergibt sich die Gesangsmelodie dann nämlich von ganz alleine, quasi als das Ergebnis von "Versuch und Irrtum".
Als Beispiel soll an dieser Stelle die Moritat von Mackie Messer aus Berthold Brechts Dreigroschenoper dienen. Hier exemplarisch die ersten beiden Strophen der Moritat über (in der Grafik unter) die Akkorde gelegt:

1 2 3 4 5
Dm Am7
Und der
Haifisch der hat
Zähne und die
trägt er im Ge-
sicht Und Mac-
heath der hat ein
Messer doch das
Messer sieht man
nicht An 'nem
1 2 3 4 5 1 2 3 4 5
Bbmaj7 Gm7 Am7 Dm
schönen blauen Sonntag liegt ein
Gm7 C7 Fmaj7
toter Mann am Strand Und ein
Bbmaj7 Gm7 Am7 Dm
Mensch geht um die Ecke den man
Gm7 C7 Em7 A7
Mackie Messer nennt
26.06.2023 Der Vollständigkeit halber nachträglich alle sechs Strophen:

1und2 - 3und4 - 5und6

28.06.2023 Eine passende Gesangsmelodie könnte etwa SO aussehen. Was der geneigte Vokalist dann am Ende tatsächlich ins Mikrofon hustet, bleibt letztendlich ihm überlassen ...

29.06.2023 Wer einen CRESCENDO Notensatz Editor bereits sein eigen nennt, oder sich die kostenlose, abgespeckte Version bei NCH Software einmal versuchsweise herunterlädt, kann sich das Zusammenspiel zwischen Gesangsmelodie und Akkordbegleitung anhand der hier verlinkten CRESCENDO Notensatzdatei im MIDI Audioformat einmal anhören. Getrennt darstellen lassen sich die beiden Notensätze leider nur in den kostenpflichtigen Home- und Master's Editions (36 und 54 Euro). Im Übrigen ist diese Software nur zu empfehlen ... info

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05.07.2023 Was jetzt noch fehlt, ist ein passendes Soloinstrument, welches Paul Desmonds Part übernimmt, und das in Intro, Outro und zwischen den Strophen seine Verwendung findet. Im Grunde genommen könnte das alles Mögliche sein: Ein kreischendes Saxophon, eine klirrende E-Gitarre, ein schepperndes Klavier, ein quietschendes Akkordeon, eine schreiende Harmonika ...
Ob dabei ein weiterer Musikus zum Einsatz kommt, oder der Vokalist in Personalunion zusätzlich ein Soloinstrumente spielt (am Besten wäre es, er könnte mehrere dieser Lärm-Erzeuger abwechselnd in Betrieb nehmen), ist eineseits eine Geschmacksfrage, andererseits abhängig vom Potential solch eines singenden "Multi-Instrumentalisten". Virtuosität ist bei dieser Aufgabe eh nicht gefragt, könnte also von jedem dahergelaufenen Musiker-Clown bewältigt werden.
Es würde keinen Sinn machen, die heiter-beschwingte Desmondsche Melodie zu kopieren, die so gar nicht passt zu dem schrecklichen und traurigen Thema des Brechtschen Liedtextes. Um der Thematik gerecht zu werden würde es völlig genügen, irgend etwas reinzupusten und reinzuhämmern, etwas das ordentlich scheppert, kreischt und brummt, und das auch gerne einen leicht atonalen Charakter haben darf. Eben etwas, das der ganzen Sache gerecht wird. Der Phantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt. Wem partout nix einfällt, der kann sich vom Peter Thomas Sound Orchester inspirieren lassen: Der Hexer

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06.07.2023 Damit wäre Teil 1 dieses Tutoriums beendet. Wer das hier beispielhaft verwendete Bänkellied aus den 20ern zusätzlich noch mit Bass und Schlagzeug aufblasen und daraus einen Popsong machen möchte, kann dies gerne tun. Daß sich nicht nur Liedtexte auf andere Taktarten übertragen lassen, sondern nachträgliche Taktänderungen auch an bereits vorhandenen Lied-Kompositionen vorgenommen werden können, wird Inhalt des zweiten Teils sein.

Weiterführende Links:

- en.wikipedia.org/wiki/Quintuple_meter
- de.wikipedia.org/wiki/Take_Five

Beispiele auf YouTube:

- Siouxsie & the Banshees
- Queens Of The Stone Age
- Jethro Tull
- Sting
- Joe Jackson
- Led Zeppelin
- The Byrds
- John Carpenter
- Pjotr Iljitsch Tschaikowski
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